Frank Otto im Interview: Die Medienkonvergenz ist noch nicht beim Radio angekommen

Ferryhouse ist ja nicht nur ein Label, sondern hat viele Geschäftsfelder. Womit befassen Sie sich noch?

Otto: Wir sind zum Beispiel dabei, ein Pop-Archiv auf die Beine zu stellen. Diese Aktivität hat zwar nichts mit aktuellen Künstlerveröffentlichungen zu tun, sie steht aber voll und ganz mit unserem Denken in Einklang: dass wir uns eben nicht nur um unsere Künstler kümmern, sondern auch um das Umfeld, in dem das Ganze passiert. Wir schauen also auch zurück und nicht nur nach vorne.

Mathes: Es gibt eine Reihe von Start Up‘s und Beteiligungen, die indirekt oder direkt mit unserem Kerngeschäft, dem Label ferryhouse, zu tun haben. Unter anderem haben wir mit der Hotelbar Publishing ein Verlags-Joint Venture mit den Schacht Musikverlagen gegründet. Es war uns wichtig, uns erst dann im Verlagssektor zu engagieren, wenn wir Autoren ein Set Up bieten können, in dem bereits eine oprative Struktur besteht.

Otto: … und wo es ein solides Business gibt. Wenn wir einem Künstler einen Verlagsdeal anbieten, will der ja auch wissen, was wir damit machen. Hotelbar heißt der Verlag deswegen, weil er die Rechte am Katalog von Tokio Hotel hält, jener deutschen Band, die auf internationaler Ebene neben Rammstein und wenigen anderen bisher am stärksten wahrgenommen wurde. Wir arbeiten mit diesen Rechten weltweit – als junger Künstler ist man da also in keiner schlechten Gesellschaft.

Mathes: Wobei die Philosophie von Hotelbar Publishing ähnlich der von ferryhouse ist – wir wollen keine Rechte verwalten, sondern etwas Neues aufbauen. Genau wie beim Label möchten wir die Auswertung aktiv vorantreiben und auch jungen Autoren die Möglichkeit geben, sich zu beweisen.

Otto: Ich bin übrigens auch im vierten Jahr Pächter der Freilichtbühne Loreley. Die war ja richtig runtergewirtschaftet. Letztes Jahr war Herbert Grönemeyer unser Highlight, dieses Jahr warten wir zum ersten Mal mit internationalen Stars wie Muse und Runrig auf. Am 1. und 2. Juni ging das HiRock Festival unter anderem mit Toto, Journey, Whitesnake, Survivor und Man Doki Soulmates über die Bühne und im September beehrt Joe Cocker unser Festivalgelände.

Womit beschäftigt sich Ferryhouse sonst noch?

Eine weitere Beteiligung hält Ferryhouse an der Empfehlungssoftware-Technologie von WeLike. weLike verfügt über eine Software, die in der Lage ist, Interessensprofile miteinander zu vergleichen und daraus Produktempfehlungen zu generieren. Social Recommendation wird zu einem ganz wichtigen Punkt in der Musikvernarktung werden, beziehungsweise ist das bereits der Fall.

Inwiefern?

Mathes: Wir glauben, dass die Musikvermarktung von morgen zum größten Teil auf Empfehlungen basieren wird – ob das auf Plattformen wie facebook oder Joinmusicpassiert oder ob mir jemand von einem neuen Produkt erzählt und meine Begeisterung weckt. Das sind im Prinzip immer dieselben Effekte.

Welche Zukunft sehen Sie für das traditionelle Radio?

Otto: Die Medienkonvergenz ist da noch nicht angekommen – trotz Internetradios und allen möglichen Streamingangeboten. Das alles hat dem Radio noch keine spürbare Hördauer und auch keine Zuhörer weggenommen. Mit meiner Mediengesellschaft bin ich ja auch an Europas größtem Internetradio beteiligt, an rautemusik.fm (#fm) – aber selbst das ist noch kleines Geschäft, von dem nur ein paar Leute leben können.

Was genau ist rautemusik?

Otto: Das funktioniert wie eine Community – der DJ legt seine Sachen auf und wird von den Hörern bewertet. Und wer gut bewertet wird, der findet dann auch häufiger im Programm statt. Man muss eben die sich bietenden interaktiven Möglichkeiten nutzen, schon um sein eigenes Produkt zu optimieren – alles andere wäre ja langweilig.

So wie es zum Beispiel das Hamburger Internetradio Byte.fm tut?

Otto: Byte.fm kooperiert in Hamburg auf UKW mit dem Sender 917xfm. Bei diesem Ansatz verbinden sich Internetwelt und Terrestrik. Aber wir haben beispielsweise noch den Anbieter Radiopark Broadcasting Solutions.

Welches Konzept verfolgen sie damit?

Otto: Das ursprüngliche Geschäftsmodell von Radiopark bestand darin, Kreuzfahrtschiffe mit Musik zu versorgen. Auf so einem Schiff haben wir 40 verschiedene Bars, und weil jede davon einen anderen Charakter hat, brauchen die richtig viele Programme, um das zu beschallen. Und das kann man nicht mit Tapes machen. Da die Schiffe auf dem Meer unterwegs sind, stellt sich die Frage: Wie kriege ich das Signal dorthin? Über Satellit ist das schweineteuer. Also haben wir eine Technologie entwickelt und auch patentieren lassen: Wir buffern. Wann immer das Schiff in die Nähe von Land kommt, kriegt es die neuesten Informationen, wann es welche Songs zu spielen hat. Die Songs selbst liegen auf dem Schiff auf dem Server. Neue Songs werden dann dazugespielt, wenn das Schiff an Land liegt; die Playlist wird immer wieder aktualisiert, sobald Empfang da ist. Und solange kein Empfang da ist, merkt sich der Computer halt die Playlist, die er zuletzt erhalten hat.

Wie lange gibt es das schon?

Otto: Schon recht lange. Die ganze Aida-Flotte fährt damit, auch die Queen Mary; an die 50 Schiffe sind schon damit ausgestattet. Im April haben wir einen Rahmenvertrag mit dem Cluburlaubveranstalter Aldiana vereinbart; im März 2103 hat sich die Hotelkette 25 Hours für die Zusammenarbeit mit Radiopark entscheiden. Wir bieten das auch für andere Hotels an – so haben wir witzigerweise einen intensiven Kontakt nach Dubai, wo wir gleich mehrere Hotels mit Programm versorgen. Ein bisschen hat das sicher auch damit zu tun, dass unser Musikredakteur chinesische von japanischer Musik unterscheiden kann. Denn wenn man das nicht kann, fliegt man in gewissen Gegenden sofort wieder aus dem Programm.

Bietet sich nicht auch ein Einsatz im Automobil an?

Otto: Mit dieser Buffertechnologie kann man alles ausstatten, was mobil ist. Die Datenmenge, die man dafür in Autos braucht, ist relativ gering und lässt sich locker auf den Chips, die man sowieso im Auto braucht, mit unterbringen. Wir wollen also auch in die Autos rein und den Herstellern unser Programm anbieten. Warum schicken die Autohersteller ihren Kunden aufwendig gestaltete Kundenzeitschriften nach Hause – aber wenn die Kunden im Auto sitzen, haben sie mit ihnen nichts mehr zu tun? Solche Zukunftsperspektiven sind gerade auch deswegen sehr interessant, weil sie individualisierbar sind.

Mathes: Aus Labelsicht würde ich es sehr begrüßen, wenn sich an der Radiosituation etwas ändern würde. Nach wie vor ist das für uns die schwerste Disziplin in der Labelarbeit und immer noch eine der wichtigsten, da es hier um den Song geht, mit dem ein direktes emotionales Erlebnis verbunden werden kann. Insofern sehe ich das Streaminggeschäft auch unter Promotionaspekten als sehr große Chance an.

Warner Music besorgt für Ferryhouse den Vertrieb – sind Sie damit zufrieden?

Mathes: Das funktioniert hervorragend. Wir wollten gern mit einem Majorvertrieb arbeiten. Und es gibt eine geographische, aber auch eine persönliche Nähe.

Was sind derzeit die wichtigsten Themen bei Ferryhouse?

Otto: Alle.

Mathes: 2013 ist wirklich ein besonderes und wichtiges Jahr für uns. Zum Beispiel wegen der Formation Irie Révoltés, die Reggae, Ska, Dancehehall und HipHop verbindet und deren zweites Album bei uns, „Allez“, in der 21. Kalenderwoche auf Platz 25 in die deutschen Charts eingestiegen ist. Im April ist „Crossing Borders“, das zweite Album der Hamburger Band Brixtonboogie erschienen, das bei MusikWoche ein CD-Tipp des Tages war. Mit Martin Gallop haben wir einen Künstler unter Vertrag, der ebenfalls nicht ganz unbekannt ist und die letzten zwei Jahre an seinem neuen Album gearbeitet hat, wenn er nicht gerade mit Udo Lindenberg unterwegs war. Die Band Liedfett macht im weitesten Sinne akustischen Punkrock auf Deutsch und vertritt sozusagen die junge deutsche Liedermacherszene. Liedfett haben den Wettbewerb „Hamburg Rockt“ gewonnen, ihr Album „Klarkomm“ haben wir Ende März veröffentlicht. Im September erscheint zudem das Dbeutalbum von Clarence + Napoleon.

Otto: Mitte März haben wir „Kissing The Queen“, das zweite Album von Ashley Hicklin, veröffentlicht. Dazu hatten wir eine spannende Kooperation mit dem World Wildlife Fund zur „Earth Hour“ am 23. März abgeschlossen, wo für eine Stunde weltweit die Lichter ausgeschaltet wurden, um das Bewusstsein für den Umweltschutz zu schärfen – für den Trailer wurde Ashleys Song „City Lights“ verwendet. Und eine ganz andere Kooperation derzeit mit Luca Vasta, deren Song ‚Cut my hair‘ in die TV-Kampagne von Adelholzener eingebunden ist.

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