In Hamburg ist der Rock'n Roll zuhause

musikwoche 31.5.2013 Interview von Manfred Gillig-Degrave

Sie sind in Hamburg in vielerlei Hinsicht bestens vernetzt. Da gibt es zum Beispiel den Kreativverein Hamburg hoch 11. Was hat der sich auf die Fahnen geschrieben?

Otto: Die Idee dahinter besteht darin, die unterschiedlichen Kreativbranchen enger zu vernetzen. Jede Kreativbranche hat zwar ihren eigenen Verband – aber was weiß beispielsweise ein Filmemacher von der Interessenlage eines Architekten oder eines Musikers? Wir versuchen für die Kreativbranchen einen gemeinsamen Nenner herauszuschälen. Dabei legen wir nicht den Fokus auf Unternehmen wie zum Beispiel Stage Entertainment oder die Hamburger Verlagshäuser, von denen wir glauben, dass sie groß genug sind um ihre Interessen selber wahrnehmen können. Aber all die freien Autoren, die kleinen Theater, die Künstler selbst, wo wir es mit Individuen zu tun haben, mit eigensinnigen Typen und teilweise schrägen Ansichten – all die versuchen wir unter einen Hut zu kriegen. Unsere Themen und Veranstaltungen erinnern dabei nicht an politisches Lobbying, sondern haben auch Unterhaltungswert und sollen attraktiv sein. So wollen wir zu gemeinsamen Aussagen finden – wie zum Beispiel zum Urheberrecht. Denn das ist natürlich in allen Branchen ein Thema. Nun bedeutet Urheberrecht in jeder Branche aber etwas anderes, und selbst innerhalb einer Branche gibt es Unterschiede. Ein Pressefotograf hat ein anderes Verständnis von Urheberrecht als einer, der Kunstfotografie macht. Wie soll das aber da draußen jemand verstehen, wenn nicht einmal wir selber untereinander es klar kriegen? Unter diesem Ansatz haben wir uns zusammengefunden, motivieren wir uns und stärken wir uns gegenseitig. Wir tauschen uns aus und diskutieren, haben dabei aber auch ein bisschen Spaß.

Konzentriert sich diese Initiative auf Hamburg?

Otto: Für so etwas braucht es die persönliche Ebene. Das kann man nicht im Netz aufbauen, weil es dazu viel zu komplex ist. Man muss nicht jeden mögen bei einer solchen Veranstaltung, aber wenn man da hinkommt, muss man sich freuen, dass man Leute trifft, die man vielleicht noch nicht kannte, oder jemanden, der etwas Interessantes zu erzählen hat. Es gibt solche Ansätze auch schon in anderen Bundesländern, und in zwei Jahren könnte es so weit sein, dass Kreative aus unterschiedlichen Bundesländern einen nationalen Verband gründen. Hamburg hoch 11 will aber kein Dachverband sein. Wir existieren neben dem, was es schon gibt, und wir kooperieren. Die einzelnen Branchenverbände können bei uns Mitglied werden – und dann haben automatisch alle ihre Mitglieder einen Anspruch auf unsere Leistungen. Das ist eine partnerschaftliche Angelegenheit.

Ist die Kreativszene in Hamburg im Vergleich mit anderen Bundesländern gut vernetzt?

Otto: Ich glaube, die Antwort muss wie überall jein lauten. Wenn man sich viel in der Szene bewegt, entstehen automatisch Netzwerke. Wer indes im stillen Kämmerchen arbeitet und vielleicht etwas introvertierter ist, der wird nicht so leicht wahrgenommen. Aber wir versuchen alle anzusprechen. Im Oberhafen, der gerade von den Kreativen erobert wird, kennen sich alle untereinander und sind vernetzt. Da herrscht Aufbruchstimmung. Solche Mikronetzwerke gibt es in der ganzen Stadt. Aber die ganze Stadt zu vernetzen – so weit ist Hamburg hoch 11 auch noch nicht. Wir haben zwar eine Datenbank aufgebaut mit jedem möglichen Ansprechpartner zu jedem möglichen Thema, was die Kreativwirtschaft angeht, aber das ist halt ein Anfang. Doch wir arbeiten natürlich in der Praxis schon alle zusammen. Beispielsweise als Musiklabel sprechen wir mit Regisseuren, weil wir ein Video brauchen; wir sprechen mit Grafikern und Designern, weil wir ein schönes Booklet oder ein tolles Cover brauchen; wir sprechen mit Fotografen, mit Journalisten sowieso. Wir arbeiten also schon mit den unterschiedlichen Kreativbranchen zusammen, und am Ende bemustern wir die Radiosender. Wir sind im Alltag also sowieso in allen Kreativbranchen außer Architektur.

Die Architektur sehen Sie beim Blick aus dem Fenster in Gestalt der Elbphilharmonie …

Otto: Uns ist wichtig, dass neben der Hochkultur in dieser Stadt auch die Subkultur eine Würdigung erfährt. Ich finde es gut, dass die Elbphilharmonie unser Wahrzeichen wird und es nicht der Michel ewig weiter bleibt. Aber wichtig ist auch zu wissen, dass Hamburg eben nicht Wien ist. Nicht dass man mich missversteht: Ich mag Wien. Aber wir sind hier in Hamburg, und in Hamburg ist der Rock’n’Roll zuhause.

Wo sehen Sie die Stärken des Kreativstandorts Hamburg?

Otto: Bei den Akteuren. Wir haben in allen Kreativbranchen verdammt gute Leute hier in der Stadt. Und es gibt auch überall eine neue Generation von jungen Leuten, die tough sind, gute Ideen haben und motiviert sind. Und die – im Unterschied zu manch anderer Stadt – verlässlich sind. Wir Hamburger haben ja auch die Angewohnheit, Abgabetermine ungefähr ernst zu nehmen – man kann hier also gut Hand in Hand arbeiten. Das ist toll, denn kreativ sein und organisiert sein, das steht nicht immer miteinander im Einklang. Es geht nicht überall. Ich bin ja selbst ein Befürworter des Chaos, für mich muss nicht immer alles organisiert sein – aber 14 Uhr ist 14 Uhr. Wenn es eine Viertelstunde später wird, geht das auch noch in Ordnung, aber das Ziel muss man ungefähr treffen. So arbeitet man hier, und ich weiß, dass es in anderen Städten teilweise ganz anders aussieht, wo dann auch mehr geredet als gemacht wird. Das ist das Angenehme an Hamburg. Und wir haben den Popkurs, für den sich Musiker aus dem ganzen Bundesgebiet bewerben. Die besten kommen in den Popkurs und sind so ein halbes Jahr auf die Stadt fixiert. Und 80 Prozent derer, die so nach Hamburg kommen, bleiben hier. Sie treffen hier auf eine Szene, bekommen Jobs. So bekommen wir immer wieder von neuem Qualität, eine Grundlage und eine Substanz, und das spiegelt sich auf den Bühnen wieder. Ich wüsste nicht, wo man sonst so viele Liveclubs und so viel gutes Programm auf den Bühnen findet.

Was fehlt? Was wünschen Sie sich vom Standort Hamburg?

Otto: Diese Stadt ist eine Kaufmannsstadt. Das verursacht ein Problem – dass man leider auch als Kreativer immer wirtschaftlich argumentieren muss. Und das ist an sich nicht richtig. Es darf auch ein Aspekt sein – aber nehmen wir mal die Musikbranche: Wie viele Künstler, die diese Stadt bereichern, können denn wirklich davon leben? Wie relevant sind die Umsatzzahlen für diese Leute, wenn die damit noch nicht einmal ihre Existenz absichern können? Dabei ist doch der kulturelle Wert dessen, was da draußen stattfindet, viel höher anzusetzen als das, was materiell umgesetzt wird. Künstler arbeiten aus einer intrinsischen Motivation heraus. Das tut niemand im Hafen; jeder, der im Hafen arbeitet, wird die Hand aufhalten, sonst rührt er nichts an. In unseren Branchen ist das eben anders. Deswegen, so finde ich, muss man immer einen Faktor zu den nüchternen Zahlen hinzu denken.

Hat Hamburg eine kreative Tradition?

Otto: Ja. Seit jeher eint die Kaufleute mit den Kulturschaffenden die Einstellung zum ‚Selbermachen‘. Keine Direktiven von ‚oben‘ abzuwarten sondern loszulegen. Wir leisten uns sogar eine Philharmonie. Und dabei läuft hier niemand Sturm wie in Stuttgart gegen den Bahnhof. In Hamburg spielen sich solche Dinge ja mit Understatement ab und sorgen für den Spott, mit dem Touristenführer dann unsere Besucher amüsieren können. Eigentlich recht erstaunlich, da grade hier jeder mit seinem Business klarkommen und rechnen muss, und dennoch sieht man es der Politik nach, dass sie so daneben lag. Irgendwo sind die Hamburger eben spendabel und haben Bürgersinn, wenn sie etwas wirklich wollen. Wir haben keine Prachtstraßen, weil es nie einen König gab und kein Militär repräsentativ aufmarschieren musste – all das haben wir nie gebraucht, und das macht diese Stadt auch cool.

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