Rebell auf Samtpfoten (von Eva Eusterhus) Die Welt 15.01.2011

Unternehmersohn will Frank Otto nicht sein. Der Medienmacher ist der Kreative seiner Familie und hat ein Gespür für Nischen. Sein jüngstes Baby ist Öko-Fernsehen

Pünktlich zur Ernennung Hamburgs zur Umwelthauptstadt geht sein neues Projekt Greencapital.tv an den Start

Der erste Web-TV-Sender für Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien führt Fernsehen und Internet zusammen

Wer sich seinen Lebenslauf durchliest, der hat gleich ein Bild von ihm als Jungen im Kopf. Einer, der etwas sucht, sich, aber auch andere. Insgesamt flog er von drei Internaten. Bevor Frank Otto erzählt, wie er die Nervenkostüme seiner Kindermädchen strapazierte, steht er auf und schließt das Fenster seines Büros, das der Gast zuvor völlig verqualmt vorfand. Es war jene Art dicker Luft, die zurückbleibt, wenn sich Freunde etwas Neues ausdenken. Wenn herumgesponnen und abgewogen wird, wenn eine Idee von der einen, dann von der anderen Seite begutachtet wird.

Wenn Frank Otto etwas ausbrütet, bleibt das Tellerchen mit Schokoladenplätzchen auf dem Tisch unberührt, stattdessen bleibt ein prall gefüllter Aschenbecher zurück, der schnell und diskret vor dem nächsten Besuch von seiner Sekretärin entfernt wird. Bei der Frage, was für ein Kind er war, möchte er sich eigentlich am liebsten gleich wieder eine anstecken, verzichtet jedoch aus Höflichkeit, ohne zu fragen. Der Mann mit den langen Haaren, die strähnig ins Gesicht fallen, hat das Sakko abgelegt. Er trägt eine Weste über dem Hemd, dessen Löcher Manschettenknöpfe zieren, die so aussehen, als würde sogar Iggy Pop sie tragen.

Frank Otto legt den Kopf in den Nacken und sagt, er sei anders gewesen als andere Kinder. „Ich war der Bandenführer, aber auch ein einsamer Sonderling.“ Wenn es irgendwo einen Ort gab zum Spielen, einen Garten oder einen Spielplatz, dann konnte der noch so spannend sein, ihn interessierte nur der Zaun und vor allem das, was sich dahinter verbarg. „Das war wie ein Reflex. Sobald es eine Grenze gab, wollte ich wissen, was dahinter liegt.“

Es war ein langer Weg, den er, der zweite von drei Söhnen des Versandhaus-Gründers Werner Otto, der 1949 mit Gründung des Otto-Versands den Grundstein für ein Imperium legte, zurücklegen musste, um aus dem großen Schatten des Vaters herauszutreten. Um sein eigenes Ding zu machen. Nicht nur optisch unterscheidet er sich von seinen Halbbrüdern Michael und Alexander, die vergleichsweise steile Karrieren mit ebenmäßigen Lebensläufen hinlegten – im Gegensatz zu ihm, der das Abitur sausen ließ, statt Bundeswehr Zivildienst in einem alternativen Kinderladen in Eimsbüttel machte, eine Ausbildung als Restaurator am Museum für Kunst und Gewerbe abschloss, in Kiel Bildende Künste studierte, als Schlagzeuger in der Band City Nord spielte und statt in einer repräsentativen Villa am Elbhang auf der Schanze in einer Wohngemeinschaft lebte. „Ich hatte mit meinen Vater abgemacht, dass ich erst mit 30 Zugriff zu meinem Vermögen bekomme. Ich habe den Reichtum lange als lästig empfunden – wegen der großen Verantwortung, die daran hängt, und wegen der Menschen, die einen nur des Geldes wegen lieben.“

Seine Wandlung begann langsam. Es war auch die Musik, die ihm, dem Introvertierten, als Katalysator diente. Die ersten vorsichtigen unternehmerischen Schritte wagte er als Bandmanager, indem er die Verantwortung für Verträge übernahm. Er gewann Vertrauen in seiner ganz eigenen Beobachtungsgabe und spähte so Nischen aus, die brachlagen. Dass er ein feines Gespür für mediale Entwicklungen hat, wurde erkennbar, als sich Otto 1988 zunächst mit 25 Prozent an dem neuen Privatsender OK-Radio (heute Oldie95) beteiligte und ihn später ganz übernahm.

Das Startkapital – damals rund vier Millionen D-Mark – steuerte sein Vater bei. „Das war das erste Mal, dass ich ihm so was wie einen Geschäftsplan vorlegte. Das war alles nicht perfekt, aber was zählte, war, dass ich eigene Ideen entwickelte und den Mut hatte, eine Nische für ein Produkt zu sehen“, sagt er. Es folgte die Beteiligung am TV-Sender Viva, die Mitgründung des Senders HH 1, hinzu kam die „Hamburger Morgenpost“. Die Verkäufe brachten ihm später gute, satte Gewinne. Das Geld war eher zweitrangig, wichtig war der Erfolg für das Ego. Mit der Tatsache, dass auch das ohne väterliches Vermögen nicht möglich gewesen wäre, hat er sich versöhnt. „Als ich das viele Geld annahm und akzeptierte, ein reicher Mann zu sei, tat ich dies aus einer gesellschaftlich-politischen Motivation. Ich sehe mich als Dolmetscher, als einer, der diese Stadt mit anderen Augen sieht.“ Und so trifft man ihn nicht nur auf dem glänzenden Parkett großer Empfänge, sondern auch in Hamburger Hinterhöfen, in städtischen Brachen, die auf Visionen warten.

Pünktlich zur Ernennung Hamburgs zur Umwelthauptstadt (siehe Bericht auf Seite 33) betritt der 53-Jährige einmal mehr Neuland: Sein jüngstes „Baby“ führt Fernsehen und Internet zusammen – so hat Hamburg den passenden Fernsehsender zum Titel „Umwelthauptstadt“. Greencapital.tv ist der erste Web-TV-Sender für Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien. Das Portal wird mit professionell produziertem sowie „User-Generated-Content“, also Inhalten, die von den Konsumenten selbst zur Verfügung gestellt werden, bestückt. Nutzer können sich durch Themenkanäle wie „Natur“, „Energie“ und „Klimawandel“ klicken und wählen selbst die für sie interessanten Clips aus.

Dass er sich heute so für Umweltthemen begeistert, läge in der Familientradition begründet, sagt er: „In unserer Familie war das schon ein Thema, als es den Begriff Umweltschutz an sich noch gar nicht gab. Und als Medienmann liegt es nahe, das Innere auch zum geschäftlichen Anliegen zu machen.“

Mittlerweile besitzt er mit seiner Firma mehrere Plattenlabels und Radiosender, ist an den Stadtsendern HH 1 und Berlin TV beteiligt. Zudem taucht sein Name als Mäzen auf, meistens abseits des Blitzlichtgewitters. Er setzt sich für den Popkurs an der Hamburger Musikhochschule ein, dem bundesweit der Ruf als Talentwiege vorauseilt, der aber zwischenzeitlich wegen mangelnder Unterstützung seitens der Stadt vor dem Aus stand. Auch macht er sich seit jeher für Hamburg Leuchtfeuer, das ein Hospiz für schwer kranke und sterbende Menschen betreibt und HIV-positive und an Aids erkrankte Menschen betreut, stark.

Heute lebt der Medienunternehmer mit seiner dritten Frau Stefanie Volkmer-Otto und den beiden gemeinsamen Kindern in einem Stadthaus auf der Uhlenhorst. Dort, im eigenen Tonstudio, bastelte er auch an seinem Musikprojekt, dem Multimediashow-Film „Trip – Remix your Experience“. Der Mix aus Liebesgeschichte, Musikclip und Unterwasserdokumentation ist ein Beweis dafür, dass sich Frank Otto nach wie vor Experimente erlaubt, ja fixe Ideen, die dem kreativen, nicht dem unternehmerischen Grundsatz folgen und genau deshalb ins Schwarze treffen. Wenn er bei einem Bier mit seinem Kumpel erzählt, wie es zu dem Film kam, wird klar, dass er ein Stück weit der Junge geblieben ist, der mit dem Gokart auf den – fast – zugefrorenen Ziegelteich fuhr, mit dem Floß auf der Elbe paddelte und zu halsbrecherischen Expeditionen in die Kanalisation aufbrach.

Was hat er von seinem Vater gelernt? „Disziplin. Und die Fähigkeit, zuhören zu können.“ Was von seiner Mutter? Er lacht. „Sich manchmal haltlos den Genüssen des Lebens hingeben zu können und bei aller Leichtigkeit nicht den Sinn für Tiefsinniges zu verlieren.“ Und was hat er von seiner Frau gelernt? Das Wichtigste überhaupt, sagt er. „Sie hat mir die Angst genommen, dass mich Menschen nur wegen meines Geldes wegen lieben.“ An einer Sache würden sie noch gemeinsam arbeiten, sagt er und schmunzelt. „Die Kunst der bedingungslosen Liebe.“ Ein Projekt, bei dem der Weg das Ziel ist.