Wenn ich Kulturkönig von Hamburg wäre...

… würde ich ganz schnell zusehen, wie ich diese Krone möglichst unbemerkt wieder loswerden könnte. Gekrönte Häupter haben es nämlich schwer in Hamburg. Letztes Jahr wurde wissenschaftlich festgestellt, dass die Hammaburg bereits im 8. Jahrhundert als Handelsplatz begründet wurde. Schon im Mittelalter waren die Hamburger stolz darauf, sich unabhängig von Fürsten oder Bischöfen selbst regiert zu haben. Um sich von Zöllen und der Heeresfolge zu befreien, wurde sogar ein gefälschter Freibrief des Kaisers Barbarossa vorgelegt. Die dänische Krone wurde niemals anerkannt, und auch Napoleon konnte nur die Stadt in Schutt und Asche legen.

 

Während in ganz Europa Kulturfürsten von sich reden machten, brachten Hamburger Handelsreisende aus Italien eine Idee mit und gründeten im Jahr 1678 Deutschlands erste Oper, die bis heute als weltweit führend gilt. Kein Wunder also, dass die Stadt auch heute mit der modernen Form dieses Genres, dem Musical, hinter New York und London den weltweit dritten Platz einnehmen konnte. Zum Stadtwahrzeichen Elbphilharmonie meldet sich die älteste deutsche Handelskammer zu Wort und fordert: „Es muss unser Anspruch sein, nicht nur Deutschlands Hafenstadt, sondern auch Deutschlands Musikstadt Nummer eins zu sein.“

 

So mächtig kann ein Kulturkönig in Hamburg gar nicht sein, dass er dieses 80-seitige Kammer-Standpunkte-Papier kommentieren müsste – lieber gleich unterschreiben! Kultur bringt Wohlstand, nicht zuletzt, weil das hochqualifizierte Mitarbeiter anzieht und besserverdienende Bürger nun mal die Wirtschaft ankurbeln. Das belegt die kürzlich vorgestellte Ifo-Studie.

 

Deshalb breche ich mir lieber einen Zacken aus der Krone, um auf etwas hinzuweisen, worüber noch nicht gesprochen wurde: In der staatlichen Musikförderung hat sich von der Früherziehung bis zur vollausgelasteten Jugendmusikschule viel getan, aber bis zur Aufnahme an unserer Musikhochschule besteht ein staatliches Ausbildungsdefizit. Der Anspruch liegt hoch, denn unsere HfMT gehört in ihrer Exzellenz zu den Top 10 der Welt, gemessen daran, ob ein Absolvent einen Platz in einem anerkannten Orchester einnimmt oder sich als Solist behaupten kann.

 

Den nächsten Zacken breche ich für die Popkultur. Nachdem sich der Beatles-Platz zu einem der meistfotografierten Hamburg-Motive in den sozialen Netzwerken entwickelt hat, wird dessen Sanierung bald in Angriff genommen. Ganz schäbig sieht heute dagegen das damals größte Pop-Art-Gemälde der Welt aus, die Fassade des Grünspan. Das Beatlemania wurde nach drei Jahren geschlossen und Udo Lindenbergs Sammlung nur temporär ausgestellt. Ob mein Vorschlag für das von der Presse als Pop-Art-Museum titulierte Pavillon-Galerie-Konzept nun die richtige Antwort ist, lasse ich mal offen. Aber sicher ist: Die Popkultur gehört zu dieser Stadt, und das sollte sichtbar sein.

 

Obwohl die Stadtplaner – abgesehen von zu schaffenden Wohnateliers – im Hinblick auf kreative Orte einiges richtig machen, ob St. Pauli, die Schanze mit der Roten Flora, Gängeviertel oder Oberhafenquartier: Es fehlt jenseits der Architektur der Diskurs über Kunst im öffentlichen Raum. Nicht mal Hamburger wie Jonathan Meese oder Daniel Richter sind zu sehen. Das ist zu still geworden und bekommt einen weiteren Zacken von mir.

 

So vorbildlich auch vom Schauspielhaus über Thalia und den vielen privaten Theatern bis zu Kampnagel das Schauspiel aufgestellt ist – Hände weg von der Filmförderung! Albern, dass mit jeder Regierungsbildung dafür gekämpft werden muss. Einer Stadt, die hier mal die Avantgarde beheimatete, ist das nicht würdig. Mit einem Zacken manifestiert.

 

Den letzten Zacken hebe ich mir für die Idee eines Literaturfrühlings auf, der derzeit nur von „Lesen ohne Atomstrom“ bestritten wird. Aus dem einzigen Kulturpalast in Billstedt übergibt der König nun den zackenlosen Ring als Symbol des Zusammenhalts und errichtet die „Chamber of Culture, Art & Progress“, damit sich Hamburgs Künstler für die eCulture-Agenda der Hansestadt fit machen.