Zum heutigen Welttag des geistigen Eigentums

Nicht nur die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl jährt sich heute zum 30. Mal. Seit Beginn unseres neuen Jahrtausends wird der 26. April auch genutzt um die Wichtigkeit von Kreativität und geistigem Eigentum zu veranschaulichen. So hatte ich dieses Datum schon vor genau 4 Jahren genutzt, um meinen Standpunkt in die damals stattfindende Debatte einzubringen. 2012 war das Jahr, in dem die Piraten-Partei in 4 Länderparlamente einzog und die Diskussionskultur um digitale Themen ähnlich heftige Auswüchse annahm, wie wir es derzeit an einem anderen politischen Thema erleben. Manch einer erinnert sich vielleicht schon gar nicht mehr daran. Das ist auch gut so, denn unter den damals Streitenden hat sich Nachdenklichkeit ausgebreitet, so mancher hat seinen Standpunkt verändert und tatsächlich haben sich viele auf den Weg gemacht um eine Lösung zu finden.

Im Folgenden möchte ich meine damaligen Zeilen in Erinnerung rufen, die ich auf Joinmusic veröffentlicht (und hier auf facebook lediglich verlinkt) hatte und von der Musik-Woche nachgedruckt wurden, damit also quasi branchenintern zur Diskussion gestellt waren.

Obwohl mir damals schon ein Lösungsansatz vorschwebte, hatte ich dies nur angedeutet. Heute ist, nach vielen Diskussionen, ein diesbezüglicher Vorschlag auf dem Tisch, der meine Unterstützung erhalten hat und wohl weiterhin erhalten wird, da mir bisher kein Argument begegnet ist, mich von etwas Anderwaitigem zu überzeugen. Hierzu werde ich am Ende dieser Notitz einen Link einfügen und jetzt erstmal dazu einladen, meinen Text vom 16.4.2012 revue passieren zu lassen:

“Digitaler Nachbarschaftsstreit – Kunstfreiheit vs Netzfreiheit

„Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ wusste schon Rosa Luxemburg 1917 zu sagen. Heute, in dem Zeitalter, in dem Bertolt Brechts medientheoretische Vision von der Verwandlung der Distributionsapparate in Kommunikationsapparate durch das Internet Wirklichkeit geworden ist, erlebt die Streitkultur, insbesondere am Thema Urheberrecht, unter den vorgeblich Freiheitsliebenden eine neue Qualität der Intoleranz und des Beharrungsvermögens auf einseitigen Standpunkten.

Im Ergebnis herrscht bei allen Beteiligten größte Unzufriedenheit: Die Internetanbieter sehen sich von Regulierungsvorhaben angegriffen und als rechtliche und faktische Verlierer dieses Konflikts. Die Nutzer sind verunsichert, wünschen Sicherheit und Klarheit und sehen sich mit unangemessenen rechtlichen Konsequenzen konfrontiert, die sie oftmals gar nicht übersehen können. Die Urheber leiden unter der sinkenden Wertschätzung kreativer Kulturgüter und der Schwierigkeit, ihre Ansprüche durchsetzen zu können, insbesondere weil sich skrupellose Geschäftemacher ihrer Werke bemächtigen und diese dabei entwerten.

Derart „unter Strom“ gesetzt, fast eine Analogie zum entsprechenden Tierversuch, gehen die Betroffenen aufeinander los. Die Wortgewaltigkeit bei solch emotionalen Angelegenheiten ist nicht neu. Schon der römische Dichter Marcus Valerius Martialis bezeichnete im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung einen gewissen Fidentinus, der seine Gedichte fälschlich als eigene ausgegeben hatte, als „Menschenräuber“ (lat. „plagiarius“).

Erst mit der Erfindung des Buchdrucks wurde die Notwendigkeit zum Schutz des geistigen Eigentums erkennbar. Und zwar grade weil diese neue Technologie das Kopieren ermöglichte, die Autoren aber vergütet werden wollten und sollten. Die Buchveröffentlichungen stiegen explosionsartig an und Historiker gehen davon aus, dass sich die Alphabetisierungsquote im Laufe des 17. Jahrhundert verdoppelte und mit Ende des 18. Jahrhundert das Lesen und Schreiben von der Mehrheit der Bevölkerung erlernt worden war. Aus der Literaturwissenschaft ist bekannt, dass zu dieser Zeit der Roman zu einer Form der Massenunterhaltung wurde und diese literarischen Werke nun weniger von Helden und Heiligen erzählten, sondern die Leser zunehmend zu den Bestrebungen und Verlusten ganz normaler Menschen mitgenommen hatte. Die Blütezeit des Briefromans ging einher mit der Blütezeit der Humanistischen Bewegung. Entsprechend priesen die französischen Philosophen der Aufklärung dieses Genre an, denn hierdurch erfuhren die Menschen von Lebensweisen anderer und durch das einfühlsame Nachvollziehen und Identifizieren entstand Empathie. Dies förderte im Zeitalter grausamer Bestrafungen und leichtfertiger Hinrichtungen deren Ablehnung und den Humanismus, bis hin zu den damit verbundenen sogenannten Naturrechten.

Mit dem Urheberrecht befreiten sich also die Künstler aus der Abhängigkeit von Staat, Kirche und Mäzenen mit durchaus positiven Folgen für unsere jüngste Zivilisationsgeschichte. Trotz oder grade wegen aufklärungsfeindlicher Gegenbewegungen, von „Blut und Boden“ bis Faschismus, entfaltete sich der humanistische Gedanke zur Empathie gegenüber Fremden und wurde 1948 als „Erklärung der Menschenrechte“ international manifestiert. Die Blüte eines Landes wurde zunehmend an der Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung sowie der Unabhängigkeit und wirtschaftlichen Selbstständigkeit seiner Kreativen abgelesen. Die Stärke des Schutzes des Urheberrechts begründet dabei bis heute die ökonomische Stärke der Kreativwirtschaft und Urheber, weshalb der Schutz des geistigen Eigentums in Europa auch zum Grundrecht erhoben wurde.

Dass nun im digitalen Zeitalter aber von der „Raubkopie“ gesprochen wird, ist wohl der Ausdrucksweise des Dichters vor 2.000 Jahren geschuldet. Natürlich ist das technisch gesehen nicht einmal ein Diebstahl, aber ob es deshalb zu dulden ist, jemandes Recht ohne Einverständnis wegzunehmen, bedarf der Klarstellung. Sich juristisch oder sprachlich an Ausdrucksweisen zu stören, lenkt vom eigentlichen Thema, dem ethischen Leitbild für unsere Gesellschaft, ab und wird durch martialische Gegenbegriffe wie „Content Mafia“ etc. nicht aufzulösen sein. Für einen offenen Dialog könnten gemeinsam sicherlich bessere Begriffe gefunden werden.

Aber, dass eine ganze Generation sich von der Durchsetzung eines Rechtsanspruchs kriminalisiert fühlen muss, kann auch nicht in der Absicht der Urheber und Verwerter liegen. Aus meinem ethischen Empfinden gibt es in beiderlei Hinsicht keinen Grund, seine eigenen Interessen gegenüber denen anderer zu bevorzugen, um die gemeinsamen Angelegenheiten geregelt zu bekommen.

Ein Recht wird durch Gesetze formuliert und unsere heutigen Urheberrechtgesetze stammen aus einer Zeit, in der der Umgang der Urheber mit ihren Verwertern bestimmt werden musste. Der Nutzer brauchte nicht einen Schimmer davon zu haben. Das Internet hat die Welt verändert, die Politiker die Gesetze aber noch nicht. So kommt es, dass der ehrliche Käufer einer DVD einen Spot über sich ergehen lassen muss, der ihm 5 Jahre Gefängnis androht, sollte er es sich anders überlegen und demnächst bei weniger vertrauenswürdigen Stellen einkaufen. Nicht einmal „Skip“ ist an dieser Stelle möglich, eine Branche setzt auf Abschreckung. Kaum eine „Copy Protected“ CD akzeptierte das Laufwerk meines Players und mit diesem Problem stand ich nicht allein. So gerät ein Recht in Verruf, obwohl die unzureichende Gesetzgebung es erst zu dieser Konfrontation zwischen Verwerter und Nutzer kommen lassen hat.

Dass in der Debatte zum Schutz des geistigen Eigentums im Internet dann auch noch Vorschläge unterbreitet wurden, die gegen andere europäische Grundrechte verstoßen, wie zum Beispiel das Recht auf Schutz personenbezogener Daten oder die Informationsfreiheit, musste zwangsläufig einen Sturm der Entrüstung auslösen. Die düpierten Verwerter wurden von einem Ministerium zum anderen geschickt, in der Hoffnung die Datenschützer würden das Thema schon versenken. Immer noch die Kunden im Visier, verstiegen sie sich zur Forderung nach „three strikes“, als sei ihnen ein Bestimmungsrecht über das Internet gegeben. Nachdem die Politik sich wieder auf unsere Wertegemeinschaft besonnen hatte, erblickte eine neue Totgeburt das Licht der Welt, die Kulturflatrate. Sie kommt zwar im schnittigen ‚Denglish‘ daher, ist aber eine Art Steuer oder Zwangsabgabe sowie ein Monstrum im Hinblick auf die Verteilung an Bezugsberechtigte und kommt nebenbei einer materiellen Teilenteignung gleich. In die gleiche Kerbe schlägt die Idee zur Verkürzung der Schutzfristen. In einer Welt, in der ich alles, was ich für Geld kaufen kann, selbstredend vererben, vermachen, verkaufen und verschenken kann, soll dies mit dem Ergebnis eigener Arbeit nicht möglich sein? Grade im Alter das künstlerische Lebenswerk zu entwerten, würde in unserer jugendorientierten Umwelt die Urheber reihenweise in die Altersarmut verbannen, in der Verhältnismäßigkeit gegenüber dem Konsumverlangen der Internetnutzer ein unhaltbares Ansinnen.

Mit Open Source und Creative Commons sind hervorragende Möglichkeiten geschaffen worden, die es Urhebern erlauben, ihr Schaffen für bestimmte Zwecke kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Diesbezüglich funktioniert der respektvolle Umgang mit dem Urheberrecht also. Ob für Charity oder schlicht als Geschenk an Fans und Unterstützer, auf dieser Grundlage wird reger Gebrauch davon gemacht. Der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ ist bei den Inhabern geistigen Eigentums offensichtlich stärker verankert als bei den Eigentümern materieller Güter.

Da es aber einem Teil des Publikums nicht in den Sinn kommt, für Musik zu zahlen, jedoch für Dinge die ihm viel weniger bedeuten, Geld auszugeben, muss die Frage nach Ethik im Internet aufgeworfen werden.

Einige halten das Urheberrecht schon vom Wort her für anmaßend, da niemand seine Ideen losgelöst von anderen entwickelt. Das stimmt, aber geschützt wird ja nicht eine Idee, sondern ein Werk, in das eigenständige Arbeit geflossen ist. Wiederum andere meinen, Kreative sollten sich von ihren Auftraggebern besser bezahlen lassen. Diese verkennen, dass der Kulturbetrieb sich auf dem Wagnis der Kreativen begründet und nur ihre Unabhängigkeit dafür sorgt, dass jeder Winkel unseres gesellschaftlichen Lebens beschrieben, gespiegelt, emotionalisiert und bezeichnet wird. Der Nutzen von selbstständigen Künstlern geschaffener Werte, die in noch nie da gewesener Ausdrucksvielfalt unser Leben bereichern, liegt in der Weiterentwicklung unserer Individualgesellschaft. Der Hofnarr hat ausgedient und niemand möchte zur mittelalterlichen Auftragskunst zurück. Im Vergleich dazu sind einige milliardenschwere Internetkonzerne seltsam altmodisch und hierarchisch organisiert.

Ray Kurzweil beschrieb in „Homo S@piens“, dass der Mensch aus Bequemlichkeit die Technik immer weiter akzeptieren würde, bis sie ihn beherrscht und überflüssig macht. Ähnlich scheinen diejenigen zu denken, die meinen, das Internet sei eben so, wie es ist, und somit müsse stattdessen das Urheberrecht in Frage gestellt werden. Als eine der letzten vergleichbaren, revolutionären technischen Innovationen kann wohl das Automobil bezeichnet werden. Es zog die Straßenverkehrsordnung nach sich und den „Technischen Überwachungsverein“. Klingt gruselig, aber jeder hat es akzeptiert und sieht es auch als vernünftig ein. Es kommt also auf die Regulierungstiefe und das Regulierungsziel an. Noch bestimmen wir die Technologie und nicht umgekehrt.

In diesem Sinne muss auch im Internet versucht werden, das Urheberrecht zu stärken und im Umgang lenkende Wirkung entfalten zu lassen, ohne dabei an die Maximierung von Nutzerabmahnungen zu denken. Kreative und Verwerter entwickeln Leidenschaft für ihre Arbeit, um Menschen zu erhellen oder zu begeistern und nicht, um sie zu bedrohen. In vielen Lebensbereichen gehen wir bereits mit Möglichkeiten so um, dass wir Dinge unterlassen, die seitens der Gesellschaft als asozial gelten und keine Anerkennung finden würden.

Aus den Verfahren gegen Megaupload und Piratebay erfahren wir, diese Unternehmen verstünden sich als Suchmaschinen. Ähnlich trickreich betätigen sich weltweit etwa nur 160 Plattformen mit der Umgehung des Urheberrechts. Ein großer Teil vielleicht sogar ohne kriminelle Energie, sondern unter dem Druck der anderen kostenlosen Angebote. Wie zur Erfindung des Buchdrucks der Schutz des geistigen Eigentums erdacht wurde, müsste jetzt für den Betrieb einer Plattform die Verantwortungsklärung geregelt werden. Betroffen wären nur die skrupellosesten, für die anderen enthielte das sogar eine Klärung ihres Geschäftsmodells. Für den Nutzer wäre der Verlass auf die Legalität der Angebote wieder hergestellt und die Urheber könnten wieder partizipieren. Entgegen aller zur Zeit im Grundsatz geführten Debatten dürfte die Fokussierung auf diese wenigen Übeltäter sehr viel schneller zu Übereinkünften führen, losgelöst von den Lobbyisten beider Lager.

Dass dies möglich ist, kann man heute schon bei eBay erkennen. Dort wird jeder Upload auf seine Rechtmäßigkeit überprüft, um Hehler-Ware auszuschließen. Ebenso wird auch jedem Nutzerhinweis nachgegangen. Dort, wo die Nutzersicherheit Teil des Geschäftsvertrauens darstellt, wird bereits vorgelebt, wie die digitale Zukunft aussehen könnte. So kann auch mit fremdem Eigentum Geld verdient werden.

Es wird sich ein Weg finden lassen, der nur eines kleinen, minimalinvasiven Eingriffs bedarf, um alle Seiten zufrieden zu stellen. Für die Freie Kunst, die in der Lage ist, ihre geschaffenen Werte auch materiell vergütet zu bekommen, ohne Eingriff in die Informationsfreiheit oder die öffentliche Preisgabe personenbezogener Daten. Der Gartenzaun, an dem sich grade der Nachbarschaftsstreit entflammt, gehört eingerissen. Die Lösung liegt in der gemeinsamen Freiheit!”

Soweit also zu meiner damaligen Wortmeldung. Meine Vorstellungen über solch einen minimalinvasiven Eingriff waren damals noch zu kompliziert zu erläutern, weshalb ich das offen gelassen hatte. Nicht zuletzt auch um Andere zum Nachdenken zu bewegen. In den zurückliegenden Jahren kreiste die Diskussion immer wieder um Haftungsfragen. Auch Gerichte wurden damit beschäftigt. Hier also der Link zu einem Vorschlag von Stefan Herwig, der dem Bundasministerium schon eine Weile vorliegt:

Diese Ergänzung würde aus unserer Sicht nicht nur klarstellen, sondern auch sämtliche Schlupflöcher schließen:
(2) Diensteanbieter sind, wenn nicht der Nutzer bereits wiederholt Rechtsverletzungen über den Dienst des Diensteanbieters begangen hat, nur dann verpflichtet, eine Rechtsverletzung durch eine fremde Information, die sie für einen Nutzer speichern, nach den allgemeinen Gesetze zu verhindern, a) wenn sie den Namen und die Anschrift des Nutzers, für den die Information gespeichert wird, nicht gespeichert und nach dem aktuellen Stand der Technik verifiziert haben oder sie dem Verletzten diese Daten nicht unverzüglich auf dessen Anforderung übermitteln, oder b) wenn der Nutzer, für den die Information gespeichert wird, seinen Wohn- oder Geschäftssitz außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Richtlinie 2000/31/EG hat Die Verpflichtung des Diensteanbieters, die Rechtsverletzung abzustellen bleibt hiervon unberührt. (3) Speichert der Diensteanbieter fremde Informationen für einen anderen Diensteanbieter, gilt Absatz 2 entsprechend.